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Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 417/07
Rechtsgebiete: TVG, BGB, TV Lohn/West (Baugewerbe)
Vorschriften:
TVG § 3 Abs. 3 | |
TVG § 4 Abs. 5 | |
BGB § 133 | |
BGB § 157 | |
TV Lohn/West (Baugewerbe) § 6 |
2) Die Vereinbarung muss aber auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet sind.
3) Voraussetzung ist, dass die Parteien bei Abschluss einer derartigen Vereinbarung auch den konkreten zukünftigen Nachwirkungszeitraum ins Auge gefasst haben. Erforderlich ist insoweit, dass sich aus der Einzelvertragsvereinbarung dieser eindeutige, auf die Zukunft gerichtete Regelungswille der Parteien zweifelsfrei ergibt.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil
Aktenzeichen: 3 Sa 417/07
Verkündet am 27.02.2008
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 27.02.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 963 b/07 - werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 98 %, der Kläger zu 2 %.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Lohnhöhe und darüber, ob eine zwischen den Parteien am 12.7.2005 getroffene Vereinbarung den Anspruch des Klägers auf den Tariflohn nach Wegfall der Tarifbindung der Beklagten und nach Kündigung des Tarifvertrages entfallen lassen hat. Es geht in diesem Rechtsstreit um Vergütungsdifferenzen für die Monate April bis einschließlich Juni 2007.
Der Kläger ist am 05.07.1951 geboren und seit 1975 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der IG Bau Agrar Umwelt.
Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen mit rund 140 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e. V. Seit dem 01.01.2006 besteht jedoch nur noch Mitgliedschaft "ohne Tarifbindung". Mit ihrem Sitz in Hamburg gehört die Beklagte zum Sonderlohngebiet Hamburg.
Am 4. Juli 2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den "Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin" (im Folgenden: TV Lohn/West) ab, mit dem auch neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger als Spezialbaufacharbeiter war seither die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn/West maßgeblich. Für den streitbefangenen Zeitraum beläuft sich der aktuelle Zeitlohn auf 14,56 EUR brutto/Stunde und der aktuelle Akkordlohn auf 13,75 EUR/Stunde.
Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landes- beziehungsweise Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in Hamburg für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene.
Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 1. April 2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31. März 2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr abgeschlossen worden.
In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM (= 0,04 Euro) und 0,09 DM (= 0,05 Euro) über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn/West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 Euro mehr pro Stunde.
Ungeachtet des Fehlens tariflicher Bezirkslohntarifverträge ab dem Jahre 2002 zahlte die Beklagte ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg berücksichtigte und der 0,04 Euro über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn/West lag.
Am 23. Juni 2005 informierte die Beklagte den Betriebsrat darüber, dass sich die wirtschaftliche Lage sehr verschlechtert habe und in den letzten Jahren Verluste in Höhe von 2 Mio. EUR entstanden seien. Sie beabsichtige deshalb, zum Juli die Hälfte der Belegschaft zu kündigen und zum Jahresende die Firma ganz zu schließen. Eine andere Lösung sei es, dass die gesamte Belegschaft sich bereit erkläre, zum tariflichen Mindestlohn zu arbeiten. Der Betriebsrat solle die Kollegen auf den Baustellen darüber informieren. Ferner teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie "in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband" sein werde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gesprächs und der Teilnehmer an dieser Sitzung wird Bezug genommen auf das als Anlage BB3 zur Akte gereichte Sitzungsprotokoll (Bl. 100 - 101 d. A.). Der Kläger ist nicht Betriebsratsmitglied und nahm an der Betriebsratssitzung vom 23.06.2005 auch nicht teil.
Am 12.07.2005 unterzeichneten die Parteien eine "Arbeitsvertrags Änderung" folgenden Inhalt (Bl. 15 d. A.):
"Arbeitsvertrags Änderung
aufgrund der wirtschaftlichen Situation in unserem Betrieb sind wir an den Betriebsrat herangetreten, um über mögliche Veränderungen innerhalb der Lohn- und Kostenstrukturen unserer Firma zu sprechen. Ziel der diversen Gespräche war es die Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Hamburger Markt zu erhalten. Bei dieser Maßnahme sind wir auf Ihr Verständnis und Ihre Mithilfe angewiesen. Um den Fortbestand der Firma und insbesondere Ihren Arbeitsplatz zu gewährleisten, bieten wir Ihnen diese einvernehmliche Arbeitsvertrags-Änderung an. Es wird einvernehmlich wie folgt geändert:
Inkrafttreten der Änderung: 01. September 2005
Ab diesem Zeitpunkt erklären Sie sich bereit, mit einem
Mindestlohn ML II von z.Zt. € 12,47
Lohnverzicht der Zahlung des 13. Monatseinkommen und bezahlte längere Arbeitszeit Freitag um 3 Stunden (während der Sommermonate)
zu ansonsten unveränderten Bedingungen weiter für uns tätig zu sein."
Entsprechend dieser Vereinbarung zahlt die Beklagte seit September 2005 an den Kläger nur noch einen Lohn von € 12,47 brutto pro Stunde im Zeitlohn und € 11,78 brutto pro Stunde im Akkordlohn.
Am 29. Juli 2005 vereinbarten die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien einen geänderten TV Lohn/West. Gemäß § 11 trat dieser Tarifvertrag am 1. September 2005 in Kraft und war kündbar mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende, erstmals zum 31. März 2007.
Soweit hier von Belang enthält der TV Lohn/West folgende Regelungen:
"§ 6 Sonderlohngebiet Hamburg
Im Sonderlohngebiet Hamburg ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben.
§ 9 Bezirkslohntarifverträge
Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.
§ 10 Durchführung dieses Vertrages
(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen. ..."
Mit Schreiben vom 17. Januar 2006 teilte der Norddeutsche Baugewerbeverband der Beklagten unter Bezug auf deren Schreiben vom 13. Januar 2006 mit, der Vorstand des Verbandes habe mit sofortiger Wirkung die Mitgliedschaft der Beklagten ohne Tarifbindung bestätigt.
Die IG Bau kündigte mit Schreiben vom 22. Januar 2007 den TV Lohn/West unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.März 2007.
In dem vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben mit dem Begehren, ihm für die Monate April 2007 bis einschließlich Juni 2007 einen um 0,04 Euro über dem Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West liegenden Lohn zu zahlen, hilfsweise den Lohn nach TV Lohn/West vom 29.07.2005.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat April 2007 in Höhe von 511,82 EUR brutto, hilfsweise 502,11 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat Mai 2007 in Höhe von 353,65 EUR brutto, hilfsweise 346,97 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat Juni 2007 in Höhe von 435,61EUR brutto, hilfsweise 427,35 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Vertragsänderung vom 12.7.2005 sei spätestens mit Beginn der Nachwirkungsphase ab 1.4.2007 in Kraft getreten. Die gekündigte tarifvertragliche Regelung sei abgelöst worden. Der Kläger könne damit nur noch den tariflichen Mindestlohn verlangen. Hinsichtlich der 0,04 EUR je Stunde sei eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden. § 6 des TV Lohn/West stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.9.2007 den Hilfsanträgen entsprochen und die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die streitbefangenen Monate den tariflichen Lohn der Lohngruppe 4 des gekündigten TV Lohn/West zu zahlen. Der tarifliche Lohn stehe dem Kläger auch über dem 31.3.2007 hinaus kraft tariflicher Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG zu. Die Vertragsänderung vom 12. Juli 2007 sei keine andere Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien bei Unterzeichnung dieser Erklärung den rechtsgeschäftlichen Willen gehabt hätten, eine zunächst für die völlig ungewisse normative Laufzeit des Tarifvertrages unwirksame, nach dessen Kündigung jedoch wirksam werdende Erklärung zu vereinbaren. Anspruch auf einen um 0,04 EUR höheren Lohn (Sonderlohngebiet Hamburg) habe der Kläger nicht. Die "Lohntabelle Hamburg" befinde sich seit dem 1. April 2002 in der Nachwirkung. Die Vertragsänderung vom 12. Juli 2005 sei eine andere Abmachung gemäß § 4 Abs. 5 TVG.
Hinsichtlich der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
Gegen dieses dem Kläger am 4.10.2007 und der Beklagten am 8.10.2007 zugestellte Urteil haben beide Parteien rechtzeitig Berufung eingelegt und diese begründet.
Bezüglich seiner Berufung ergänzt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint, sein Anspruch auf weitere 0,04 Euro pro Stunde ergebe sich ungeachtet des Fehlens einer tarifvertraglichen Lohntabelle für das Sonderlohngebiet Hamburg im streitgegenständlichen Zeitraum direkt aus § 6 TV Lohn/West. Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West sei so zu verstehen, dass mit dieser Vorschrift automatisch der Abstand zwischen den für das gesamte Bundesgebiet nach diesem Tarifvertrag gültigen Stundenlöhnen und den Stundenlöhnen des Sonderlohngebietes Hamburg entsprechend den bisherigen Abständen bewirkt werde. § 6 TV Lohn/West stelle eine eigene anspruchsbegründende Norm dar und benötige keine weitere Konkretisierung in anderen Tarifverträgen. Die Löhne im Sonderlohngebiet Hamburg würden nach dieser Vorschrift automatisch entsprechend ihrem bisherigen Abstand angepasst und erhöht. § 6 TV Lohn/West entspreche auch dem Bestimmtheitsgrundsatz. Wegen der festgelegten Bundeslöhne und der ebenfalls bestimmten Lohnabstände für die einzelnen Lohngruppen sei es problemlos möglich, den entsprechenden Lohn für das Sonderlohngebiet Hamburg zu errechnen. Auch werde aus § 6 TV Lohn/West deutlich, dass Normadressat der einzelne Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitgeber sei. Hätten die Tarifvertragsparteien etwas anderes gewollt, dann hätten sie, wie in § 9 TV Lohn/West geschehen, die Landes- beziehungsweise Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien als Normadressaten benannt. Die §§ 9, 10 TV Lohn/West hätten wegen der speziellen Vorschrift in § 6 TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet Hamburg keine Bedeutung. Sie bezögen sich ausschließlich auf solche Bezirkslohntarifverträge bzw. Lohntabellen, in denen Sonderlöhne und Sonderlohngruppen enthalten und geregelt seien. Diese Sonderlöhne und Sonderlohngruppen beträfen die Löhne, die für bestimmte Berufsgruppen außerhalb der Bundeslohntabellen geregelt seien. Darum gehe es bei § 6 TV Lohn/West nicht, denn dort seien eigene Lohngruppen nicht eingeführt. Die Vorschrift diene einzig und allein dazu, bestehende Lohngruppen im Vergleich zu Bundeslöhnen zu vereinbaren. Zwischen den Tarifvertragsparteien habe Einigkeit bestanden, dass die Höhe des Lohnabstandes nicht verhandelbar sei. Letztlich spreche auch die Systematik des Tarifvertrages für seine - klägerische - Auffassung. Wäre § 6 TV Lohn/West lediglich als Aufforderung an die regionalen Tarifvertragsparteien zu verstehen, dann hätte diese Vorschrift ihren Platz zwischen den §§ 9, 10 TV Lohn/West finden müssen. Er habe deshalb - bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum - Anspruch auf weitere 16,21 EUR brutto, wobei die Forderung der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig ist.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007, Az.: 3 Ca 963 b/07, im Wege der Berufung insoweit aufzuheben und abzuändern, als die vom Kläger verfolgten Zahlungsanträge abgewiesen wurden und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den nach den Schlussanträgen der I. Instanz noch nicht zuerkannten Differenzbetrag für den Zeitraum April 2007 bis Juni 2007 von insgesamt € 24,65 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt weiterhin,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 963 b/07 -abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Zur Berufung des Klägers verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist und trägt weiter vor: Aufgrund der Verzichtserklärung vom 12.7.2005 habe der Kläger keinen Anspruch mehr auf die von ihm begehrten weiteren 0,04 EUR pro Stunde. Aus § 6 TV Lohn/West folge kein diesbezüglicher unmittelbarer Anspruch. § 6 TV Lohn/West sei lediglich eine Sicherstellungsverpflichtung, deren Umsetzung durch Bezirkstarifverträge erfolgen könne. Normadressaten dieser Verpflichtung seien die Tarifvertragsparteien, nicht die Arbeitnehmer. §§ 9, 10 TV Lohn/West stellten lediglich eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien dar, unverzüglich Bezirkstarifverträge zu schließen und dabei auch § 6 TV Lohn/West einzuhalten. Ferner könne angesichts des wechselnden Abstandes nicht von einem regelmäßigen Stundenlohnabstand zwischen dem TV Lohn/West und dem Sonderlohngebiet Hamburg in Höhe von generell 0,04 EUR pro Stunde ausgegangen werden.
Zur eigenen Berufung trägt die Beklagte vor, der Kläger müsse sich - zumindest seit dem 1.4.2007 - an seiner Verzichtserklärung vom 12.7.2005 festhalten lassen. Die Regelungen des TV Lohn/West hätten seit Beginn der OT-Mitgliedschaft lediglich nach § 3 Abs. 3 TVG weiter gegolten. Nach Ende der Kündigungsfrist am 31.3.2007 wirke der TV Lohn/West nur noch nach, so dass er durch eine andere Vereinbarung abgelöst werden könne. Damit trete die Vereinbarung vom 12.7.2005 in Kraft und der Kläger habe nur noch Anspruch auf einen Lohn von 12,47 EUR. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 21.9.1989 - 1 AZR 454/88) lebten einzelvertragliche Regelungen, die vor Beendigung des Tarifvertrages verdrängt worden seien, in der Nachwirkungsphase wieder auf. Bei Abschluss der Arbeitsvertragsänderung habe sie keine Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Bau gehabt. Des Weiteren sei der TV Lohn/West von vornherein kündbar gewesen, so dass dessen Laufzeit gerade nicht völlig ungewiss gewesen sei. Überdies spreche der Sinn und Zweck der Nachwirkungslehre in dem hier zu beurteilenden Fall nicht gegen ein Aufleben der Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005. Das Arbeitsverhältnis werde durch die Regelungen des BRTV-Bau und des ebenfalls allgemein verbindlichen Mindestlohntarifvertrages bestimmt. Ein inhaltsleerer Zustand sei mithin nicht zu befürchten gewesen.
Der Kläger verteidigt im Hinblick auf die Berufung der Beklagten die erstinstanzliche Entscheidung. Er vertritt die Auffassung, die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 sei nicht auf die Beseitigung der Nachwirkung gerichtet gewesen. Die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 sei wegen ihres Verstoßes gegen das Tarifvertragsgesetz nichtig und könne folglich später nicht wieder aufleben.
Zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits ist bereits ein Rechtsstreit über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers auf Zahlung eines Hamburger Sonderlohnes in Höhe von zusätzlichen 0,04 EUR/Stunde von dieser Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zum Aktenzeichen 3 Sa 420/06 entschieden worden. Das Revisionsverfahren ist unter dem Aktenzeichen 4 AZR 217/07 anhängig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien in der Berufung wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist auf Grund ihrer Zulassung statthaft, die der Beklagten nach dem Beschwerdewert. Die Begründung beider Parteien ist form- und fristgerecht erfolgt.
In der Sache selbst haben beide Berufungen keinen Erfolg.
I.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger für den - hier streitgegenständlichen - Zeitraum von April bis Juni 2007 keinen Anspruch auf einen um 0,04 EUR erhöhten Stundenlohn nach der Hamburger Lohntabelle hat.
1. Der Kläger hat mit der von ihm unterzeichneten Vereinbarung vom 12.07.2005 wirksam darauf verzichtet, dass die Beklagte ihm auch über den 01.09.2005 hinaus einen mindestens um 0,04 EUR über dem "Bundeslohn" liegenden Lohn zahlt. Insoweit war der Verzicht wirksam, weil die Beklagte ab 01.09.2005 nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 beziehungsweise § 3 Abs. 3 TVG verpflichtet war, ihm einen um 0,04 EUR höheren Lohn zu zahlen. Die letzte zwischen den Hamburger Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohntabelle befindet sich unstreitig seit dem 01.04.2002 in der Nachwirkung, sodass die Tarifbindung der Hamburger Lohntabelle zu jenem Zeitpunkt endete, § 3 Abs. 3 TVG. Die Parteien waren mithin ab jenem Zeitpunkt tarifrechtlich nicht mehr gehindert, auf den erhöhten Lohn nach der Hamburger Lohntabelle einvernehmlich durch eine andere Abmachung nach § 4 Abs. 5 TVG zu verzichten. Soweit die Beklagte im Nachwirkungszeitraum jeweils einen orientiert an dem "Bundeslohn" um 0,04 EUR höheren Lohn zahlte, steht dies der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 12.07.2005 nicht entgegen. Denn insoweit handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche Verpflichtung.
2. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 verletzt § 6 TV Lohn/West vom 29.07.2005 nicht. Auch unter Beachtung dieser Vorschrift missachtet die Vertragsänderung vom 12.07.2005 bezogen auf die streitgegenständlichen 0,04 Euro pro Stunde kein Tarifrecht. Denn § 6 TV Lohn/West enthält keinen unmittelbaren Anspruch des im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitenden Klägers auf Zahlung der begehrten weiteren 0,04 Euro pro Stunde. Bei § 6 TV Lohn/West handelt es sich nicht um eine Inhaltsnorm. Diese Vorschrift stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar. Insoweit wird nochmals wie schon im Urteil 3 Sa 420/06 (anhängig beim BAG unter 4 AZR 217/07) ausgeführt:
"a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).
b) Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet Hamburg und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet Hamburg sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West - in § 6 TV Lohn/West nicht festgelegt.
c) Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn/West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn/West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn/West nicht entnommen werden.
d) Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet Hamburg tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet Hamburg im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn/West Formulierungen gewählt, wie " ...beträgt der Ecklohn...EUR" (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne..."(§ 2 Abs. 7, 8); " erhält der Arbeitnehmer ..."(§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf..."(§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...."( § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn/West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.
e) Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes Hamburg handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.
f) Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn/West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.
Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn/West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet Hamburg erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn/West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes Hamburg gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.
g) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn/West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn/West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn/West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbst gestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn/West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn/West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn/West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn/West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen."
Diese Ansicht vertritt die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein nach wie vor.
II.
Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Der Kläger hat ab 1. April 2007 Kraft Nachwirkung weiterhin Anspruch auf den tariflichen Lohn der Lohngruppe IV des TV Lohn/West vom 29.7.2005. Die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 ist keine andere Abmachung gemäß § 4 Abs. 5 TVG.
1. Mit der Kündigung des TV Lohn/West vom 29.7.2005 durch die IG Bau zum 31. März 2007 entfiel für die Beklagte die Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG mit Ablauf des 31. März 2007. Gemäß § 4 Abs. 5 TVG trat damit ab 1. April 2007 die Nachwirkung dieses Tarifvertrages ein. Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG schließt sich auch bei einem Verbandsaustritt an das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (BAG Urteil v. 23.2.2005 - 4 AZR 186/04 -, zitiert nach JURIS). Kraft Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrages weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
2. Der Nachwirkung des TV Lohn/West steht auch nicht die einzelvertragliche Arbeitsvertragsänderung vom 12.7.2005 entgegen. Es spricht schon sehr viel dafür, dass diese Vereinbarung nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam ist (a). Die Vereinbarung vom 12.07.2005 erweist sich jedenfalls nicht als "andere Abmachung" im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG, soweit der Nachwirkungszeitraum des beendeten TV Lohn/West vom 29.07.2005 betroffen ist (b).
a. Der Verzicht des Klägers mit Wirkung ab 1.9.2005 auf tarifliche Rechte aus dem TV Lohn/West war wegen der beiderseitigen Tarifbindung gesetzeswidrig. Nach § 4 Abs. 3 TVG sind Abmachungen, die zu Ungunsten des Arbeitnehmers getroffen werden, nur zulässig, wenn der Tarifvertrag dies gestattet oder die Tarifvertragsparteien dem zugestimmt haben. Beide Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Damit verstieß die Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot. Es spricht viel dafür, dass eine tarifwidrige Vereinbarung aufgrund der zwingenden Wirkung des nachfolgenden Tarifvertrages endgültig nichtig wird, weil die nachwirkende tarifliche Ordnung nicht durch das Wiederaufleben früherer vertraglicher Vereinbarungen gestört werden soll.
Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG: "bis ... ersetzt werden". Eine Abweichung vom erreichten tariflichen Niveau soll nur aufgrund einer neuen übereinstimmenden Willensentscheidung möglich sein (vgl. Däubler-Bepler, Kommentar zum TVG, 2. Aufl., Rz. 908 zu § 4 m. w. N.). Auch die Auslegung eines Einzelvertrages wird in der Regel ergeben, dass tarifwidrige Abreden nichtig sind und nicht etwa nach Jahr und Tag wieder aufleben sollen (vgl. Wiedemann-Wank, TVG, 7. Aufl. Rz. 372 zu § 4 mit Hinweis auf BAG vom 21.9.1991, AP Nr. 10 zu § 3 TVG).
b. Es bedarf jedoch auch vorliegend keiner Entscheidung der umstrittenen Frage, ob eine gegen § 4 Abs. 3 TVG verstoßende Regelung nichtig ist oder ob sie durch die unmittelbar und zwingend geltende tarifliche Regelung nur verdrängt wird. Denn Voraussetzung für die Ablösung der Nachwirkung einer Tarifvertragsregelung durch eine etwaige vor Ablauf des Tarifvertrages schon geschlossene einzelvertragliche Vereinbarung ist in jedem Fall, dass sie ausdrücklich oder zumindest konkludent auf die Ablösung des Tarifvertrages gerichtet ist (vgl. nur BAG vom 21.9.1989 - 1 AZR 454/88; BAG vom 23.5.2005 - 4 AZR 186/04; BAG vom 17.1.2006 - 9 AZR 41/05 - jeweils zitiert nach JURIS). Diese Voraussetzung liegt hier aber nicht vor. Im Einzelnen:
aa. Der Wortlaut von § 4 Abs. 5 TVG mit dem Tatbestandsmerkmal "ersetzen" legt nahe, dass die andere, die Nachwirkung beendende, Abmachung nach Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden muss (RfK-Franzen, 8. Auflage, § 4 TVG, Rz. 64). Allerdings ist das Tatbestandsmerkmal "ersetzen" nicht in einem strengen zeitlichen Sinn zu verstehen, sondern funktional (RfK-Franzen, 8. Auflage, § 4 TVG, Rz. 64).
Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG spricht davon, dass nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weitergelten, "bis" sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden, geht also davon aus, dass die Nachwirkung zunächst eingetreten ist ( BAG vom 23.2.2005, 4 AZR 186/04 Rz. 31, vgl. auch BAG vom 17.1.2006 - 9 AZR 41/05, Rz. 26 - jeweils zitiert nach JURIS). Nach der Rechtsprechung des 4. und des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts folgt daraus aber nicht, dass eine ablösende Abmachung nicht auch schon im Voraus getroffen werden kann, wenn es ihr darum geht, gerade den Nachwirkungszeitraum abweichend zu regeln. Denn die Privatautonomie umfasst grundsätzlich auch Verträge, die erst in der Zukunft Wirkung entfalten sollen. Das muss auch für eine Vereinbarung gelten, die auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet sind. Maßgeblich ist insoweit, dass die Vereinbarung nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien - zumindest: auch - die Nachwirkung des beendeten Tarifvertrages beseitigen soll. Ist das der Fall, wirkt sie als" andere Abmachung" sobald die zwingende Wirkung des Tarifvertrages endet (BAG a.a.O.).
Voraussetzung ist daher, dass die Parteien bei Abschluss einer derartigen Vereinbarung auch den konkreten Nachwirkungszeitraum ins Auge gefasst haben. Erforderlich ist insoweit, dass sich aus der Vereinbarung dieser eindeutige Regelungswille der Parteien ergibt.
bb) Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Parteien haben mit der Verzichtsvereinbarung vom 12.7.2005 im Hinblick auf den am 1.4.2007 beginnenden Nachwirkungszeitraum des TV Lohn/West vom 29.7.2005 keine "andere Abmachung" getroffen. Sie haben weder ausdrücklich noch konkludent die nachwirkenden Normen des TV Lohn/West ersetzt. Nach den Auslegungsgrundsätzen der §§ 157, 133 BGB kann auch unter Zugrundelegung der Begleitumstände nicht darauf geschlossen werden, die Parteien hätten mit dem Änderungsvertrag vom 12.07.2005 bereits den tariflichen Nachwirkungszeitraum ab 01.04.2007 regeln wollen.
Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es ist, ausgehend vom Horizont des objektiven Erklärungsempfängers, nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG v. 20.9.2006 - 10 AZR 715/05 - m. w. N. - zitiert nach JURIS).
(1) Die Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005 selbst enthält keinen Hinweis darauf, dass die beabsichtigte Lohnsenkung jedenfalls spätestens mit Beginn des Nachwirkungszeitraumes des TV Lohn/West vom 29.7.2005 Wirksamkeit entfalten sollte. Vielmehr haben die Vertragsparteien geregelt, dass die Änderungen bereits mit dem 1.09.2005 in Kraft treten sollten.
(2) Aber auch unter Berücksichtigung der Begleitumstände ergibt sich nichts anderes.
Der Tarifvertrag, dessen Nachwirkung ab 1. April 2007 hier streitig ist, wurde von den Tarifvertragsparteien erst am 29. Juli 2005 abgeschlossen und trat zum 1. September 2005 in Kraft. Das heißt, die Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005 wurde geschlossen zu einem Zeitpunkt, als der neue Tarifvertrag noch nicht einmal vereinbart war. Zwar ist es sicherlich denkbar, dass im Vorgriff auf das absehbare Tarifende bereits eine andere Abmachung getroffen werden kann. In Betracht kommt das insbesondere, wenn der Arbeitgeber nur noch nach § 3 Abs. 3 TVG tarifgebunden ist und das Auslaufen des Tarifvertrages zu einem bestimmten Zeitpunkt feststeht (vgl. Löwes/Rieble, TVG, 2. Auflage, § 4 Rz. 401).
Zu einem solchen Zeitpunkt wurde die Arbeitsvertragsänderung jedoch nicht abgeschlossen. Vielmehr stand am 12. Juli 2005 noch nicht einmal der Inhalt des Tarifvertrages, dessen Nachwirkung beendet worden sein soll, fest. Ebenso wenig dessen Laufzeit und der Zeitpunkt, zu dem der künftige Tarifvertrag frühestens gekündigt werden konnte. Bereits angesichts dieser Unsicherheiten verbietet es sich, die Willenserklärung vom 12.7.2005 mit der Maßgabe auszulegen, sie sei auch auf die Beseitigung der Nachwirkung des TV Lohn/West gerichtet.
(3) Darüberhinaus ist - mit der 4. Kammer des LAG Schleswig-Holstein Az. 4 Sa 419/07 - Folgendes zu berücksichtigen:
Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 23. Juni 2005 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie werde in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband sein. Sie bat den Betriebsrat darum, die Belegschaft darüber und über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zu unterrichten. Diese Äußerung der Beklagten konnte von der Belegschaft nur dahingehend zu verstehen sein, sie - die Arbeitgeberin - fühle sich wegen ihrer fehlenden zukünftigen Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht mehr an zukünftige Tarifverträge gebunden. Mit anderen Worten: Aufgrund dieser Äußerung der Arbeitgeberin durften die Arbeitnehmer davon ausgehen, die Tarifbindung entfalle, ungeachtet einer etwaigen eigenen Gewerkschaftsmitgliedschaft. Folglich seien auch Regelungen unterhalb des tariflichen Niveaus bis zur Grenze des tariflichen Mindestlohnes zulässig. Diese Äußerung der Arbeitgeberin zu ihrer künftig fehlenden Tarifbindung war dann sozusagen Geschäftsgrundlage für die Entscheidung der Arbeitnehmer, die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 zu unterzeichnen. Es ging den Arbeitnehmern dann also gerade nicht darum, eine irgendwie und irgendwann entstehende Nachbindung des noch gar nicht abgeschlossenen Tarifvertrages zu beseitigen. Sie mussten vielmehr davon ausgehen, mangels zukünftiger Tarifbindung des Arbeitgebers gelte überhaupt kein zukünftiger Tarifvertrag mehr.
Angesichts dieser Umstände verbietet es sich, die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 als eine "andere Abmachung" im Sinne von 4 Abs. 5 TVG zu verstehen, mit der von beiden Parteien die Beseitigung der Nachwirkung des zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geschlossenen TV Lohn/West vom 29.7.2005 bereits im Vorwege gewollt war.
(4) Der Entscheidung des LAG Schleswig- Holstein vom 21.2.2008 - 4 Sa 419/07 -ist auch dahingehend zu folgen, dass auch die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck nicht zu dem von der Beklagten gewünschten Auslegungsergebnis führt. Die wirtschaftliche Situation stellte sich für die Beklagte im Jahre 2005 als desolat dar. Anlass und Motiv für die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 war daher auf Seiten der Arbeitnehmer, einen Beitrag zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten leisten zu wollen. Es ging ihnen also nicht darum, für einen etwaigen späteren Zeitraum mit Eintritt der Nachwirkung eine Regelung zu treffen. Sie wollten der aktuell schlechten wirtschaftlichen Situation bereits im Jahre 2005 abhelfen. Ob die wirtschaftliche Situation auch knapp 2 Jahre später noch so sein würde, war für die Arbeitgeberin und den Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht absehbar. Es bestand für den Kläger daher auch kein Anlass, zum Erhalt des Arbeitsplatzes so frühzeitig wegen einer erst Jahre später wegfallenden Tarifbindung der Beklagten auf dann erst nachwirkende Tarifrechte zu verzichten. Die wirtschaftliche Situation der Beklagten zum im Juli 2005 noch nicht einmal feststehenden Nachwirkungsbeginn - 1.4.2007 - war nicht absehbar. Sie konnte sich auch ganz anders darstellen, als im Juli 2005. Deshalb bestand für die Arbeitnehmer insoweit am 12.7.2005 auch keine Veranlassung, zum Erhalt seines Arbeitsplatzes so frühzeitig eine auf die Beendigung der Nachwirkung per März 2007 gerichtete andere Abmachung zu treffen.
Aus den genannten Gründen wirkt der TV Lohn/West vom 29.07.2005 auf das Arbeitsverhältnis nach. Er ist nicht durch eine andere Abmachung i. S. d. § 4 Abs. 5 TVG abgelöst worden. Dem Kläger stehen folglich auch nach Wegfall der Tarifbindung über den 31.03.2007 hinaus die Ansprüche und Rechte aus dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 zu.
3. Die Höhe der geltend gemachten Differenzbeträge zwischen dem gezahlten (tariflichen) Mindestlohn und dem Tariflohn der Lohngruppe 4 nach dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 bezogen auf den Klagzeitraum ist zwischen den Parteien unstreitig.
4. Nach alledem waren die Berufungen beider Parteien zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Revision war für den Kläger wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Für die Beklagte folgt sie aus § 72 Abs. 2 ArbGG wegen Divergenz zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 24.01.2008, Az.: 1 Sa 416/07.
Ende der Entscheidung
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